räuber leichtweiß im rabengrund

als wiesbaden 1744 regierungssitz des fürstentums nassau-usingen wurde, hat die stadt so manchen jungen mann aus dem nassauer hinterland in ihren bann gezogen. so auch heinrich anton leichtweiß, der dotzheimer neubürger wird und am 20. september 1757 christiane louise nicoley, tochter eines schultheißen, heiratet. das paar lebt mit zwölf kindern, von denen einige früh sterben, in dem 300-seelen-dorf. leichtweiß ist wirt des gasthauses "zum engel", in dem sich auch das backhaus der gemeinde befindet. belege für seine tätigkeit als gemeindebäcker liefern abrechnungen, die im hessischen hauptstaatsarchiv aufbewahrt werden.

die gemeinderechnungen lieferten zugleich ein getreues abbild der jahre des siebenjährigen krieges, die durch ständige einquartierungen durchziehender kaiserlicher und französischer truppen in den gasthäusern des dorfes gekennzeichnet sind. beim engelwirt werden mit abstand die meisten offiziere und soldaten einquartiert.

leichtweiß, der ortsfremde, der die tochter des wohlhabenden bürgermeisters geheiratet hat, war manchem ein dorn im auge. zumal er es zu wohlstand brachte. im jahr 1788, leichtweiß ist 65, besitzt er äcker, ein haus und die wirtschaft - insgesamt ein schuldenfreies vermögen von 4 000 gulden. leichtweiß ist auch als gemeinde-gelderheber tätig, später gesteht man ihm sogar den titel "herrschaftlicher gelderheber" zu.

er zieht gelder für die kasse der herrschaft ein.

alles schien in bester ordnung - bis zu jenem verhängnisvollen tag im april 1788. leichtweiß wird unterstellt, er sei in den schuppen eines anwesens "des conrad höhnen" eingebrochen. ein einbruch, für den es keine vernünftige erklärung gibt.

was hätte der wohlhabende herrschaftliche gelderheber wohl stehlen sollen? leichtweiß wird am 1. mai 1788 in das zuchthaus am michelsberg eingeliefert.

ein solcher fall hätte vor dem oberamt verhandelt werden müssen. das hofgericht, eigentlich berufungsinstanz, zog ihn an sich, wohl auf weisung des fürsten karl wilhelm. nach dem vorwurf des versuchten einbruchdiebstahls wird die anklage um "wilddieberei" erweitert. leichtweiß macht sich durch "hartnäckiges leugnen" nicht nur höchst verdächtig, man sieht ihn auch als "beinahe überführt" an.

fürst karl wilhelm von nassau-usingen, der im schloss zu biebrich residiert, schreibt sein urteil eigenhändig auf die akte des hofgerichts. in seinen augen ist leichtweiß "gewiss ein wilddieb oder ein wildbretsverkäufer". er müsse in wiesbaden an den pranger neben der rathaustreppe gestellt werden und habe ein jahr im zuchthaus zu schmoren.

der von jagdleidenschaft besessene fürst hat in den 1780er jahren mehrere prozesse gegen wilderer angestrengt. leichtweiß wurde ein opfer dieser kampagne.

der angeklagte erfuhr von dem urteil im zuchthaus, nachdem er dort schon einige monate gesessen hatte. nach seiner entlassung am 30. oktober 1789 kehrte er nicht mehr zu seiner Familie nach dotzheim zurück. er nahm zu seiner frau und seinen kindern nie mehr verbindung auf, sondern hat wohl mit seinen 66 jahren ein "unstetes leben" in den taunuswäldern geführt.

eine anfangs nicht als solche erkannte spur fanden waldarbeiter eineinhalb jahre später am himmelfahrtstag 1791 im hinteren nerotal.

sie stießen unterhalb des rabengrundes, dicht am bach, auf eine höhle - unterschlupf eines wilddiebes. es fand sich dort eine "diebslaterne", ein durch einen filzhut abgedecktes licht.

das schicksal ereilte den flüchtling, als er im november 1791 im hessischen amt bergen aufgegriffen wurde. was nun geschah, kann für absolutistische willkürjustiz stehen. das hessische amt bergen verzichtete auf eine strafverfolgung.

leichtweiß wurde ins zuchthaus nach wiesbaden zurückgebracht, ein selbstmordversuch verhindert.

er soll erklärt haben, dass er lieber sieben leben verlieren wolle, als an diesen schrecklichen ort zurückzukehren. es fand keine weitere gerichtsverhandlung statt, weder vor dem kriminal- noch vor dem hofgericht. der absolutistische herrscher löste das problem am 29. februar 1792.

der herzog schrieb: der leichtweiß sei ein durch "eigene schuld ins elend geratener spitzbub", so verzweifelt, dass er sich den tod wünsche. "aber zu wollüstig oder zu furchtsam wie ein jeder spitzbub ist, sonst hätte er sich besser als er getan, stechen können."

heinrich anton leichtweiß erfuhr nicht, dass er nach dem willen des fürsten bis zu seinem tode im kerker bleiben sollte. monat für monat steht in dem säuberlich geführten aufsichtsbuch des zuchthauses: "verbrechen: pro furti" - wegen diebstahls. unter der rubrik "auf wie lange?" hieß es: "steht noch in der inquisition." bis zuletzt lebte leichtweiß in dem glauben, es werde ein ordentliches gerichtsverfahren geben, das seine schuldlosigkeit feststellt.

der wohlhabende engelwirt aus dotzheim war ein gebrochener mann. im alter von 70 jahren ist leichtweiß im zuchthaus gestorben.


(quelle: wk)